Mittwoch, 26. März 2008

Georg Grimm - Selbstlosigkeit V

Was der Buddha von uns will, ist von einem Kinde zu verstehen: er will, daß wir selbstlos werden, und zwar selbstlos in dem Sinne, in dem dieses Wort seit jeher jeder unbefangene Normalmensch, auch ein Kind, versteht: wir sollen nichts mehr für uns selber begehren. Ebenso leicht zu verstehen ist der sollen: weil alles außer uns wegen seiner Vergänglichkeit leid­bringend für uns ist: „Was von ihm — [vom Ich, vom Atman] — verschieden ist, ist leidvoll", haben schon die Upanishad-Meister, — wie übrigens nach dem früher Ausgeführten auch Meister Eckehart — erkannt. Selbst unser Goethe hat einmal in dieser Richtung gedacht: „Was euch nicht angehört, müsset ihr meiden, Was euch das innre stört, dürft ihr nicht leiden". Also nicht in dem Anatta-Begriff als solchem liegt die Schwierigkeit. Diese liegt vielmehr in dem Umfang, den dieser Anatta-Begriff und damit der Begriff der Selbstlosigkeit in der Lehre des Buddha annimmt. Besagt er doch hier, daß schlechter­dings alles nur irgendwie Erkennbare, daß insbesondere unsere gesamte Persönlichkeit, also unser Körper, unsere Empfindungen, Wahrnehmungen, unser Denken, nichts mit unserem Wesen und damit mit unserem eigentlichen Ich zu tun haben, daß wir also auch allem Erkennbaren gegenüber, daß wir insbesondere unserer gesamten Persönlichkeit gegenüber selbstlos werden müssen. Daß das auch wirklich wahr ist — nicht daß es der Buddha lehrt — ist schwer einzusehen, und daran scheitern so viele Köpfe, wobei dann die Verbildeten von ihnen zur Ver­schleierung ihrer Unfähigkeit, die Wahrheit dieser Lehre des Buddha einzusehen, keinen Anstand nehmen, diese Lehre in ihr Gegenteil zu verkehren, um sie so wieder mit ihrer Fassungs­kraft und damit mit der des großen Haufens in Einklang zu bringen, der ja auch nicht daran zweifelt, daß der Mensch in den Elementen seiner Persönlichkeit bestehe. „So ist wohl das, Aggivessana, deine Meinung: ,Der Körper ist mein Ich, die Empfindung ist mein Ich, die Wahrnehmung ist mein Ich, die Gemütstätigkeiten sind mein Ich, das Erkennen ist mein Ich?" — „Gewiß, o Gotama, ich sage: ,Der Körper ist mein Ich, die Empfindung ist mein Ich, die Wahrnehmung ist mein Ich, die Gemütstätigkeiten sind mein Ich, das Erkennen ist mein Ich', und diese große Menge sagt es auch." (M. N., I, p. 230 (M. S., I, S. 365))
Der unbefangene Normalmensch aber wird auch der Schwierigkeit, die Wahrheit des an sich zweifellosen Sinnes der Buddhalehre einzusehen, mit der Zeit unschwer Herr werden, indem er immer und immer wieder den Großen Buddha-Syllogismus betrachtet: „Was vergänglich ist und mir mit dem Eintritt seiner Vergänglichkeit Leiden zuführt, das kann unmöglich mein Wesen und damit mein eigentliches Ich sein; ja, das kann mir nicht einmal angemessen sein." Je mehr er das einsieht, desto mehr wird er auch einsehen, daß es nur der ihn erfüllende Wille ist, der ihn an dieses Fremde ettet, es ihn insbesondere immer und immer wieder ergreifen läßt. Desto mehr und mehr wird er aber auch alles dieses ihm im Grunde Fremden, wird er seiner gesamten Persönlich­keit überdrüssig werden. Damit wird Reizfreiheit gegenüber allen Objekten der Erkenntnis eintreten: keines von diesen, nicht einmal der eigene Körper, vermag noch einen Wunsch in ihm auszulösen. In dein gleichen Maße als dies eintritt, wird dann aber auch „die Loslösung“ erfolgen. In dem Maße, als er sich so loslöst, wird er auch unmittelbar an sich er­fahren, daß er selbst dadurch in keiner Weise berührt, viel­mehr nur von einer „Bürde", einer ungeheueren Bürde frei wird. Und in dem gleichen Maße, als er so von dieser ungeheueren Bürde frei wird, wird er dann auch all das Glück, ja, die Seligkeit auskosten, die eben die Befreiung von einer ungeheueren Bürde mit sich bringt. Und so wird ein solcher Mensch die allerhöchste „Selbstlosigkeit''' in der allerhöchsten Entsagung verwirklichen, weil er den Kern der Buddhalehre begriffen hatte. Mehr als diesen Kern brauchte er nicht: alle die anderen tiefgründigen Probleme, die auch die Buddhalehre in sich birgt und die auch der Buddha selber in zum Teil schwer zu begreifenden Ausführungen für jene Geister behandelt hat, deren Erkenntnisdrang nur da­durch zum Erlöschen gebracht werden kann, existieren für ihn nicht. Glückselig der Mensch, der so schnurgerade auf das Ziel hinsteuern, der so einfach denken kann. Er wird kein Gelehrter, wird kein Professor werden, aber er wird ein Heiliger werden. Er wird aber auch als Kampfesruf nicht ertönen lassen: „Los vom Ich!", sondern: „Los vom Nicht-Ich!"

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